CN: Der folgende Text berührt die Themen Consent (Einverständnis), Bruch von nicht-explizitem Consent, missbräuchliches Verhalten am Spieltisch, Erwähnung von fiktiver Vergewaltigung, ausschließendes Verhalten von Gruppen.
Ich habe 2002 angefangen, Pen&Paper-Rollenspiele zu spielen. Das sieht von heute aus betrachtet so aus, als gehörte ich zur alten Garde, aber damals kam ich als Neuling in gewachsene Strukturen. Ich war 22 Jahre alt, und eigentlich alle, mit denen ich spielte, hatten schon jahrelang Erfahrung.
Ich hatte Glück: Meine Rollenspielrunden waren immer freundlich und inklusiv. Niemand stahl anderen das Rampenlicht, niemand war genervt, wenn es beim Würfeln länger dauerte. Und niemand schloss andere aus, weil sie anders waren. Alle hatten ein ähnliches Verständnis davon, welche Art von Rollenspiel wir spielen wollten, und die Spielleitungen waren immer bemüht, dass alle gemeinsam Spaß hatten.
Mich rissen die Möglichkeiten vom Hocker. Ich konnte alles tun, was ich wollte! Sein, wer ich wollte! Identitäten ausprobieren, Facetten meiner Persönlichkeit ausspielen, die ich sonst lieber verbarg. Quatsch machen! Laut sein, leise sein, seltsam sein, mutig sein, stark sein, ängstlich sein, Fehler haben. Und bald liebte ich Pen&Paper-Rollenspiel heiß und innig.
Abuse am Spieltisch
Ich war also total verliebt ins Rollenspiel, und ich wollte am liebsten alle damit anstecken. Über nichts redete ich lieber als über „DSA“, Das Schwarze Auge, das Rollenspielsystem, das ich damals meistens spielte. Wieso spielten nicht mehr Leute Rollenspiele? Bestimmt wussten sie nicht, was sie verpassten! Ich war im Namen des Rollenspiels unterwegs: Haben Sie schon von unserem Herrn und Retter gehört?
Als ich eine Freundin, nennen wir sie Marie, auf Pen&Paper-Rollenspiel ansprach, reagierte sie komisch. Ich verstand das nicht so richtig. Erst nach ein paarmal Nachfragen erzählte sie von ihren Erfahrungen am Spieltisch: Sie war als „die Freundin“ von einem der Spieler in eine bestehende Gruppe gekommen. Anekdotisch hatte ich schon gehört, dass das keine sehr beneidenswerte Rolle war: Manche Männer reagieren ausschließend oder aggressiv, wenn „ihre Räume“ von Personen anderer Geschlechter „infiltriert“ werden. Ich kannte dieses Verhalten natürlich (und leider natürlich) aus anderen Kontexten, aber ich hatte wegen meiner positiven Erfahrungen immer angenommen, dass das in Rollenspielrunden früher vielleicht mal vorgekommen war, aber jetzt doch nicht mehr!
Darauf, wie die Geschichte von Marie weiterging, war ich trotzdem nicht vorbereitet: Ihr Charakter wurde direkt am ersten Spielabend vergewaltigt. Von den Charakteren der Mitspieler. Die Spieler waren sich auch nicht zu widerlich, den fadenscheinigen Rechtfertigungsversuch zu bringen, dass das eben so wäre, wie sich ihre Charaktere verhalten würde, wenn eine Frau versuchen würde, sich der Gruppe anzuschließen. Wie scheiße man sein kann!
Ich war absolut entsetzt und angewidert. Nicht nur, dass die Spieler sich einen ekelhaften und inakzeptablen Grenzübertritt erlaubt hatten und sich auch noch hinter von ihnen erfundenen und gespielten Charakteren versteckten, die Spielleitung ließ das auch noch durchgehen. Und ihr Freund hielt auch schön die Finger still. Muss ich wirklich schreiben, dass Marie nach dieser tollen Erfahrung nie wieder rollenspielen wollte?
Ein sicherer Rahmen
Das Beispiel zeigt, dass wir Respekt und die Achtung von Grenzen brauchen, wenn alle am Spieltisch Spaß haben sollen. Und es zeigt, wohin wir kommen und welchen niederen Impulsen wir Raum geben, wenn wir keinen Respekt vor unseren Mitspielenden haben.
Doch nicht immer sind Regeln so klar wie die, dass neue Mitspielende selbstverständlich einen sicheren Raum und Respekt von einer Runde erwarten dürfen. Manche von uns haben vielleicht Erfahrungen machen müssen, über die sie nicht mit anderen reden möchten oder können. Einige sind Diskriminierungen ausgesetzt, die andere nicht einmal regelmäßig wahrnehmen. Andere kämpfen vielleicht mit spezifischen Phobien oder Posttraumatischen Belastungsstörungen.
Um einen sicheren Raum für alle am Spieltisch zu schaffen, müssen wir Werkzeuge zur offenen Kommunikation schaffen. Sowohl in der Vorbereitung als auch während des Spieles. Sonst laufen wir Gefahr, eine Art „Recht des Stärkeren“ am Spieltisch zu reproduzieren, von dem wir in der echten Welt schon zu viel haben.
Wie kann ich als Spielleitung ein Auge auf die Grenzen der Einzelnen haben, wenn in der fröhlich-oberflächlichen Hack-and-Slay-Runde plötzlich tiefere Gespräche entwickeln und potenziell schwierige oder triggernde Themen ausgespielt werden? Wie kann ich „Stopp“ sagen, wenn es plötzlich unangenehm wird für mich? Wie können wir als Gruppe in solchen Situationen reagieren?
Zum Glück gibt es mittlerweile Werkzeuge, die genau bei diesen Fragen helfen: Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Methoden herauskristallisiert, um den Spaß am Rollenspieltisch für alle Beteiligten zu gewährleisten. Sie lassen sich einteilen in eher präventive Methoden, die in eine Sitzung Null gehören, und reaktive Methoden, die vor dem Spiel oder in Sitzung Null nur eingeführt werden und unmittelbar in schwierigen Situationen eingesetzt werden können.
Mehr Sicherheit am Rollenspieltisch durch Vorbereitung
Reaktive Methoden, wie die X-Card von John Stavropoulos, sind eine gute Möglichkeit, um in schwierigen Situationen einen etablierten und relativ anstrengungsarmen Kommunikationsweg zu haben. Es gibt auch eine deutsche Übersetzung des Werkzeuges. Im Zentrum steht die X-Karte, die von jeder Person genutzt werden kann, um das Spiel zu unterbrechen, problematische Elemente werden aus der Geschichte herauseditiert und es geht weiter. Es gibt die Option, eine Pause zu machen und in kleinem Kreis genauer zu diskutieren, aber dabei wird nicht in Frage gestellt, dass editiert werden soll. Es ist keine Rechtfertigung nötig, aber manchmal bedarf es genaueren Erklärungen.
Die X-Karte verwenden wir in unserer aktuellen Runde seit Beginn. Ich finde es aber zusätzlich wichtig, schwierige Themen noch vor Spielbeginn abzuklären, um möglichst gar nicht in die Situation zu kommen, editieren zu müssen. Bisher habe ich in meiner D&D-Runde nur formlos nach schwierigen Themen gefragt und mich hinterher geärgert, schlampig dokumentiert zu haben. Und nach zwei Jahren sind wir in der Kampagne langsam an einem Punkt angekommen, an dem die Themen ernster werden, und auch die Charaktere öffnen sich ihren Gefährt*innen gegenüber mehr. Darum finde ich es wichtig, möglichst genau Graubereiche und harte Grenzen abzuklären, so dass ich hinterher gut damit arbeiten kann.
Keine der Checklisten für Consent im Rollenspiel, die ich gefunden habe, war mir detailliert genug. Und deutschsprachig waren nur wenige. Schade, dachte ich. Und: das geht doch besser!
Darum findet ihr hier meine Pem&Paper-Rollenspiel-Consent-Checkliste zum freien Download (CC BY-SA 4.0), hier geht’s zur druckbaren PDF-Ansicht:
In der Checkliste gibt es vier Bewertungskategorien, die die Spieler*innen zu jedem Thema ankreuzen können:
- Keine Probleme
- In Ordnung im Spiel, aber nicht mit meinem Charakter
- Okay, wenn offstage oder hinter Schleiern, mehr benötigt Abstimmung
- Nein, harte Grenze
Die Liste der potenziell schwierigen Themen umfasst alphabetisch sortiert so ziemlich alle Bereiche, über die ich bei meiner Recherche zum Thema Consent im Rollenspiel gestolpert bin. Trotzdem fehlen sicher noch Themen, dafür gibt es Platz weiter unten, ergänzt gerne.
Und dann: Happy (!) Gaming!